Doppelaspekttheorie

Thomas Nagel

Thomas Nagels Doppelaspekt-Theorie betont die untrennbare Verbindung zwischen subjektiven Erfahrungen und objektiven Beobachtungen. Sein berühmtes Gedankenexperiment "What is it like to be a bat?" lädt dazu ein, die Grenzen menschlichen Verständnisses und die Natur des Bewusstseins zu erforschen. Finde heraus, was das alles mit Schokolade zu tun hat!

Inhalt

Biografie

Thomas Nagel (* 4. Juli 1937 in Belgrad) ist ein US-amerikanischer Philosoph. Er lehrt an der New York University School of Law und bearbeitet ein weites Themenspektrum. In seinem Werk „What Is It Like to Be a Bat“ verfasste er seine berühmte Doppelaspekt-Theorie, die noch heute eine akzeptierte Antwort auf das Leib Seele Problem liefert.

Zitate

Original Textauszug

Obwohl das Fledermaus-Radar klarerweise eine Form von Wahrnehmung ist, ist es in seinem Funktionieren keinem der Sinne ähnlich, die wir besitzen. […] Das scheint für den Begriff davon, wie es ist, eine Fledermaus zu sein, Schwierigkeiten zu bereiten. Es wird nicht helfen, sich vorzustellen, dass man Flughäute an den Armen hätte, die einen befähigten, bei Einbruch der Dunkelheit und im Morgengrauen herumzufliegen während man mit dem Mund Insekten finge; […] dass man den Tag an den Füßen nach unten hängend in einer Dachkammer verbrächte. Insoweit ich mir dies vorstellen kann (was nicht sehr weit ist), sagt es mir nur, wie es für mich wäre, mich so zu verhalten, wie sich eine Fledermaus verhält. Das aber ist nicht die Frage. Ich möchte wissen, wie es für eine Fledermaus ist, eine Fledermaus zu sein. Wenn ich mir jedoch dies nur vorzustellen versuche, bin ich auf die Ressourcen meines eigenen Bewusstseins eingeschränkt, und diese Ressourcen sind für das Vorhaben unzulänglich. Dieses Problem trifft nicht nur zwischen verschiedenen Spezies zu. […]

Thomas Nagel: What Is It Like to Be a Bat? / Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?


Der Geschmack von Schokolade:

Was geschieht beispielsweise, wenn man in einen Schokoladenriegel beißt? ­
Die Schokolade schmilzt auf unserer Zunge und verursacht chemische Reaktionen in unseren Geschmackszellen; die Geschmackszellen senden elektrische Impulse durch die Nerven hindurch, die von unserer Zunge zu unserem Gehirn führen, und wenn diese Impulse das Gehirn erreichen, so erzeugen sie dort weitere physikalische Reaktionen; und schließlich empfinden wir den Geschmack von Schokolade. Was ist jedoch er? Kann er schlicht mit einem physikalischen Ereignis in einigen unserer Hirnzellen identisch sein, oder muss es sich bei ihm um etwas Grundverschiedenes handeln?

Würde ein Wissenschaftler unsere Schädeldecke entfernen und in unser Gehirn hineinsehen, während wir den Schokoladenriegel essen, so würde er nichts weiter sehen als eine graue Masse von Nervenzellen. Würde er mit Messinstrumenten bestimmen, was dort vor sich geht, so würde er komplizierte physikalische Vorgänge der unterschiedlichsten Art entdecken.

Fände er jedoch den Geschmack von Schokolade?

Es sieht so aus, als könnte er ihn in unserem Gehirn nicht finden, da unsere Empfindung des Geschmacks von Schokolade in unserem Geist auf eine Weise eingeschlossen ist, die sie für jeden anderen unzugänglich macht – auch wenn er unseren Schädel öffnet und in unser Gehirn hineinblickt. Unsere Erlebnisse sind im Innern unseres Geistes in einem anderen Sinn von „innen“ als jenem, in dem unser Gehirn sich im Innern unseres Kopfes befindet. Ein anderer kann unseren Schädel öffnen und sich sein Innenleben ansehen, er kann jedoch nicht unseren Geist öffnen und in ihn hineinblicken – zumindest nicht auf die gleiche Weise. Es handelt sich nicht bloß darum, dass der Geschmack von Schokolade ein Geschmack ist und daher nicht gesehen werden kann. Angenommen ein Wissenschaftler wäre verrückt genug, den Versuch zu wagen, meine Empfindung des Geschmacks von Schokolade zu beobachten, indem er an meinem Gehirn leckte, während ich von einem Schokoladenriegel koste. Zunächst einmal würde mein Gehirn für ihn vermutlich nicht nach Schokolade schmecken. Doch selbst wenn dies der Fall wäre, es wäre ihm nicht gelungen, in mein Bewusstsein einzudringen und meine Empfindung des Geschmacks von Schokolade zu beobachten. Er hätte lediglich herausgefunden, dass sich kurioserweise mein Gehirn immer dann, wenn ich Schokolade esse, so verändert, dass es für andere Leute nach Schokolade schmeckt. Er hätte seinen Geschmack von Schokolade, und ich den meinen.

Wenn unsere Erlebnisvorgänge auf eine andere Weise in unserem Bewusstsein sind, als sich die entsprechenden Gehirnprozesse in unserem Hirn befinden, so sieht es so aus, als könnten unsere Erlebnisse und andere psychische Zustände nicht einfach bloß physikalische Zustände unseres Gehirns sein. Wir müssen demnach mehr sein als bloß ein Körper mit seinem brausenden Nervensystem.

Thomas Nagel: What Does It All Mean? A Very Short Introduction to Philosophy / Was bedeutet das alles? Eine ganz kurze Einführung in die Philosophie, aus dem Englischen übersetzt von Michael Gebauer. Reclam, Stuttgart 1990. S. 26-27

 

Die Doppelaspekt-Theorie von Körper und Seele:
Es gibt eine andere mögliche Position, die sich sowohl vom Dualismus als auch vom Physikalismus unterscheidet. Der Dualismus ist der Auffassung, dass Sie aus einem Körper plus einer Seele bestehen, und dass Ihr psychisches Leben sich in Ihrer Seele abspielt. Der Physikalismus vertritt die Position, dass sich Ihr psychisches Leben aus physikalischen Prozessen zusammensetzt, die in Ihrem Gehirn ablaufen. Es gibt jedoch die weitere Möglichkeit, dass sich Ihr psychisches Leben in Ihrem Gehirn abspielt, und doch all diese Erlebnisse, Gefühle, Gedanken und Wünsche keine physikalischen Prozesse in Ihrem Gehirn sind.

Dies würde bedeuten, dass die graue Masse der Milliarden von Nervenzellen in Ihrem Schädel kein bloß physikalischer Gegenstand wäre. Sie hat eine Vielzahl physikalischer Eigenschaften – Unmengen chemischer und elektrischer Reaktionen ereignen sich in ihr –, zusätzlich laufen in ihr jedoch auch psychische Vorgänge ab.
Die Auffassung, dass das Gehirn der Ort des Bewusstseins ist, dass jedoch seine bewussten Zustände keine bloß physikalischen Zustände sind, bezeichnet man als Doppelaspekt-Theorie.

Man nennt sie so, da sie besagt, dass mein Hineinbeißen in eine Tafel Schokolade in meinem Gehirn einen Zustand oder Vorgang mit zwei Aspekten hervorruft: einem physikalischen Aspekt, der die vielfältigen chemischen und elektrischen Reaktionen einschließt, und einem psychischen Aspekt – der Geschmacksempfindung von Schokolade. Läuft dieser Vorgang ab, so ist ein Wissenschaftler, der mein Gehirn inspiziert, in der Lage, seinen physikalischen Aspekt zu beobachten, während man selbst aus der Innenperspektive seinen psychischen Aspekt erlebt: man hat die Empfindung des Geschmacks von Schokolade. […]

Wir könnten diese Position so formulieren, dass wir uns ihr zufolge nicht aus einem Körper plus einer Seele zusammensetzen – sondern lediglich ein Körper sind, dass jedoch unser Körper, oder zumindest unser Gehirn, kein bloß physikalisches System ist. Er ist ein Objekt mit sowohl physikalischen, als auch psychischen Aspekten: er lässt sich zwar anatomisch zerlegen, er besitzt jedoch in gewissem Sinne einen inneren Raum, der durch eine solche Vivisektion [Eingriff am lebenden Körper] nicht aufgedeckt zu werden vermag. […]

Es scheint in der Welt zwei sehr verschiedene Arten von Vorgängen zu geben: Vorgänge, die zur physikalischen Wirklichkeit gehören, die also von vielen unterschiedlichen Personen von außen beobachtet werden können, sowie jene anderen Vorgänge, die zur psychischen Wirklichkeit gehören, und die ein jeder von uns in seinem eigenen Fall aus der Innenperspektive erlebt. Dies gilt nicht nur für den Menschen; Hunde, Katzen, Pferde und Vögel sind offenbar bewusste Wesen, und Fische, Ameisen und Käfer vermutlich ebenfalls. Wer will sagen, wo dies endet?

ebd., S. 30-33

Lernzettel

  • Bewusstsein kann nicht nur aus Materie bestehen; innere Zustände können nicht bloß physikalisch sein
  • Begründung durch Speziesproblem:
    Mensch kann sich nicht in Fledermaus versetzen und ihre inneren Vorgänge nicht beobachten, da unterschiedliche Wahrnehmungen & Sinnesorgane
  • Bewusstsein hat physikalische & psychische Aspekte
  • Gehirn ist mehr als ein physikalisches System
  • Seele“ bzw. psychische Aspekte = abgeschlossener, innerer Raum → Zugang nur durch die eigene Perspektive
  • Hineinversetzen in andere Menschen & Lebewesen nicht möglich
    → Bsp. Geschmack von Schokolade:
  • Geschmack ist mehr als nur eine physikalische Reaktion
  • Auch andere Lebewesen könnten psychische Aspekte haben → Mensch kann nicht wissen, wie viel bewusstes Leben es gibt

Schaubild

Klausurtext

Tragfähigkeit

  • Problem von Ursache-Wirkung wird gelöst → psychische Aspekte liegen im Gehirn und sind mit diesem verknüpft, d.h. Übertragung bzw. Austausch von Identität wäre möglich
  • Prozesse von Wahrnehmungen sind erforschbar (neuronale Prozesse); Empfindungen wie Geruch, Geschmack, etc., also die Bewusstseinszustände, sind nicht messbar
  • Unser Körper besteht aus den gleichen Teilchen wie tote Materie, d.h. es ist wahrscheinlich, dass es etwas Immaterielles gibt, das unser Bewusstsein ausbildet
  • eineiige Zwillinge besitzen trotz gleicher DNA & gleicher Gene unterschiedliche Persönlichkeiten
  • innerer Raum (Seele) ist nicht beweisbar, da er nur durch die Innenperspektive zugänglich und auch nicht durch das Selbst wahrnehmbar bzw. spürbar ist
  • es ist unwahrscheinlich, dass etwas Immaterielles mit etwas Materiellem, wissenschaftlich Beweisbarem verbunden ist, wenn sich diese Verbindung nicht beweisen lässt

Teste dein Wissen

Nagel fragt, ob unser Bewusstsein nur aus Materie bestehen kann, wenn jedes Individuum eine andere Wahrnehmung hat, die sich nicht wissenschaftlich begründen lässt.

Ein Mensch kann sich niemals in eine Fledermaus hineinversetzen, weil er nicht die Wahrnehmung und das akustische Radarsystem (Biosonar) einer Fledermaus hat. Er kann nur eine Vorstellung davon haben, wie es für ihn selbst wäre, eine Fledermaus zu sein.

Das Speziesproblem bezieht sich auf die Unmöglichkeit, sich in die Wahrnehmung einer anderen Spezies hineinzuversetzen, da man nur seine eigene menschliche Wahrnehmung besitzt.

Nagel unterscheidet zwischen physikalischen Aspekten, die alle chemischen und elektrischen Vorgänge einschließen, und psychischen Aspekten, die das Empfinden steuern und wissenschaftlich unbeweisbar sind.

Nagel erklärt, dass das Gehirn einen abgeschlossenen inneren Raum, die Seele, besitzt, die nur durch die Innenperspektive bzw. das eigene Bewusstsein zugänglich ist, weshalb es sich auch nicht empirisch beweisen lässt.

Es ist nicht möglich, sich in eine andere Person hineinzuversetzen, da jeder Mensch nur seine eigene Wahrnehmung und Innenperspektive besitzt.

Nagel veranschaulicht, dass der Geschmack von Schokolade mehr ist als eine bloß physikalische Reaktion im Körper. Beim Untersuchen des Gehirns während des Verzehrs würde man nur physikalische Vorgänge, aber nicht den Geschmack selbst entdecken. Auch wenn man Schokoladengeschmack durch Lecken am Gehirn fände, könnte man nur den eigenen Geschmack empfinden und nicht den eines anderen.

Nagel zeigt, dass das Leib-Seele Problem fundamental ist, da psychische Aspekte nur durch die Innenperspektive erlebbar sind und somit nicht von außen entdeckt und empfunden werden können.

Nagel lässt die Möglichkeit offen, dass auch andere Lebewesen oder Dinge, die zunächst nur aus Materie zu bestehen scheinen, psychische Aspekte haben könnten.

Nagels Argumentation zeigt die Grenzen der wissenschaftlichen Betrachtung des Bewusstseins auf, da psychische Aspekte nur durch die Innenperspektive zugänglich sind und somit wissenschaftlich nicht vollständig erfassbar sind.

Lernmaterial

Einen guten Überblick zur Doppelaspekt-Theorie bildet das folgende Video:
Thomas Nagel und das Leib Seele Problem