Materialismus

Stephen Hawking

Stephen Hawking, einer der brillantesten Köpfe der modernen Wissenschaft, vertrat eine materialistische Weltsicht, die besagt, dass das Universum und alles darin letztlich durch physikalische Gesetze erklärbar ist. Seine faszinierenden Theorien und bahnbrechenden Forschungen eröffnen ein tiefes Verständnis der Natur des Kosmos und unserer Existenz darin.

Inhalt

Biografie

Stephen William Hawking (* 8. Januar 1942 in Oxford, England; † 14. März 2018 in Cambridge, England) war ein britischer theoretischer Physiker und Astrophysiker. Er lieferte bedeutende Arbeiten zur Kosmologie, zur allgemeinen Relativitätstheorie und zu Schwarzen Löchern. Aufgrund seiner Grunderkrankung und der Behandlung einer schweren Lungenentzündung verlor er 1985 die Fähigkeit zu sprechen. Für die verbale Kommunikation nutzte er seitdem einen Sprachcomputer.

Zitate

Original Textauszug

Am 13. September 1848 kam es bei der amerikanischen Eisenbahngesellschaft in Vermont zu einem schweren Unfall. Dem Vorarbeiter Phineas Gage schoss bei einer von ihm durchgeführten Sprengung eine etwa 1,10 m lange und 3 cm dicke Eisenstange durch den Schädel. Sie trat unterhalb des linken Wangenknochens in den Kopf ein und oben am Kopf wieder aus. Während des Unfalls blieb Gage bei Bewusstsein und war auch später in der Lage, über den gesamten Hergang des Unfalls zu berichten. Nach Angaben seines Arztes war er – abgesehen vom Verlust des linken Auges – nach wenigen Wochen körperlich wiederhergestellt und auch seine intellektuellen Fähigkeiten einschließlich Wahrnehmung, Gedächtnis, Intelligenz, Sprachfähigkeit waren völlig intakt. In der Zeit nach dem Unfall kam es jedoch bei Gage zu auffälligen Persönlichkeitsveränderungen. Aus dem besonnenen, freundlichen und ausgeglichenen Vorarbeiter wurde ein kindischer, impulsiver und unzuverlässiger Mensch. Da der Fall für die Hirnforschung von Interesse war, wurde Gages Körper sieben Jahre nach seinem Tod exhumiert und der Schädel im Museum der Harvard Medical School aufbewahrt. 1994 gelang es Hannah Damasio von der Universität Iowa mittels einer Computersimulation aufzuzeigen, welche Hirnareale durch die Stange beschädigt worden waren. Ihr Mann, Antonio R. Damasio, führte den Nachweis, dass zwischen dem geschädigten Hirnareal und Gages Persönlichkeitsveränderungen ein Zusammenhang besteht.

Bernd Rolf: Originalbeitrag

 

Descartes’ Irrtum (1994):
Infolge einer Hirnschädigung [können] soziale Konventionen und moralische Regeln ihre Verbindlichkeit verlieren. […] Gages Beispiel zeigte, dass Teile des Gehirns für spezifisch menschliche Eigenschaften zuständig sind, unter anderem für die Fähigkeit, die Zukunft vorwegzunehmen und sie in einem komplexen sozialen Umfeld angemessen zu planen. […]

Darin liegt Descartes’ Irrtum: in der abgrundtiefen Trennung von Körper und Geist, von greifbarem, ausgedehntem, mechanisch arbeitendem, unendlich teilbarem Körperstoff auf der einen Seite und dem ungreifbaren, ausdehnungslosen, nicht zu stoßenden und zu ziehenden, unteilbaren Geiststoff auf der anderen; in der Behauptung, dass Denken, moralisches Urteil, das Leiden, das aus körperlichem Schmerz oder seelischer Pein entsteht, unabhängig vom Körper existieren. Vor allem: in der Trennung der höchsten geistigen Tätigkeiten vom Aufbau und der Arbeitsweise des biologischen Organismus. […]
Zum umfassenden Verständnis des menschlichen Geistes [ist] eine organische Perspektive erforderlich […].

Antonio R. Damasio: Descartes ’ Irrtum. Übersetzt von Christian Elger u. a.: Das Manifest, in: Gehirn & Geist Nr. 6 / 2004. S. 33, 34, 36, 37

 

 

Lernzettel

  • Materialismus stützt sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse
    → hat ethische Implikationen
  • Leib und Seele bestehen aus Materie → es gibt keine Seele im klassischen Sinn
  • Seele ist ein Produkt des Gehirns → befindet sich im Gehirn
  • somit ist der Mensch eine „Biomaschine“
  • Identität des Menschen bildet sich durch Körper
  • Verletzungen des Gehirns können Identität verändern (s. Phineas Gage)
    → das Beispiel Phineas Gage stützt den Materialismus

Schaubild

Klausurtext

Tragfähigkeit

  • Basiert auf wissenschaftlichen Erkenntnissen → Frontalhirn beinhaltet ,,Selbst“-Empfinden, motorische Funktionen wie Planen, strategischen Denken und Handeln oder die sogenannte Moral  (s. Phineas Gage)
  • Bisher hat es keine wissenschaftlichen Erkenntnisse gegeben, die auf die Möglichkeit einer Seele hinweisen konnten
  • Problem der Nichtreduzierbarkeit psychischer Erlebnisse → mit der Neurologie ist nicht erklärbar, wie bestimmte Bewusstseinszustände auftreten
  • Unser Körper besteht aus den gleichen Teilchen wie tote Materie, hat nur einen anderen Aufbau → Wie also lässt sich unser Bewusstsein erklären?
  • Eineiige Zwillinge besitzen trotz gleicher DNA und gleicher Gene unterschiedliche Persönlichkeiten

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Positionen des Monismus beruhen auf der Annahme, dass es entweder nur die Seele oder nur den Körper gibt und dementsprechend nur eine der beiden Entitäten für die Identitätsbildung verantwortlich ist.

Der Materialismus ist also eine Unterart des Monismus, weil er davon ausgeht, dass Körper und „Seele“ ausschließlich aus Materie bestehen und auf chemische Prozesse im Gehirn zurückzuführen sind.

Der Mensch wird als „Biomaschine“ betrachtet, die keine Seele besitzt.

Der Materialismus definiert die menschliche Identität durch den Körper, insbesondere durch das Gehirn. Er geht davon aus, dass alles aus Materie besteht, und sich die Identität in einem für die Identitätsbildung zuständigen Teil des Gehirns bildet und befindet. Verletzungen im Gehirn können daher die individuelle Identität verändern oder sogar zerstören.

Der Unfall von Phineas Gage, bei dem sein Frontalhirn irreversibel beschädigt worden ist, beeinflusste seine Fähigkeit, moralische Entscheidungen zu treffen erheblich. Vor dem Unfall war er als verantwortungsvoll und still bekannt, während er nach dem Unfall kein Verständnis von Moral mehr hatte und die Konsequenzen seiner Handlungen nicht mehr absehen konnte.

Der Fall Phineas Gage unterstützt die Theorie des Materialismus, da Gages Charakter und Verhalten sich nach einer schweren Gehirnverletzung (Frontallappen) drastisch verändert haben. Dies deutet darauf hin, dass die Identität und Persönlichkeit des Menschen stark mit dem physischen Zustand des Gehirns verbunden sind, was die Existenz einer immateriellen Seele in Frage stellt.

Die Existenz einer immateriellen Seele ist unwahrscheinlich, weil Veränderungen im physischen Gehirn zu Veränderungen in der Persönlichkeit und Identität führen. Dies legt nahe, dass Identität und Persönlichkeit auf materiellen Prozessen beruhen und nicht auf einer unabhängigen Seele.

Laut Materialismus ist die menschliche Identität sehr instabil, denn sie kann durch physische Veränderungen im Gehirn beeinflusst werden.

Während Vertreter des Materialismus die Existenz einer „Seele“ ablehnen und den Mensch als Biomaschine definieren, da seine Identität durch das Gehirn gebildet werde, unterscheidet Nagel in seiner Doppelaspekt-Theorie zwischen zwei verschiedenen Entitäten: den physischen und den psychischen Aspekten.

Die Seele im klassischen Sinn lehnt Nagel zwar auch ab, dennoch spricht er von „psychischen Aspekten“, welche einen inneren, verschlossenen Raum darstellen würden und empirisch nicht beweisbar seien, die verantwortlich für die Identitätsbildung des Menschen seien.

 

Vertreter der Doppelaspekt-Theorie könnten argumentieren, dass die Veränderungen in Gages Charakter mit den psychischen Aspekten zusammenhängen. Da die psychischen Aspekte bzw. der empirisch nicht beweisbare, nur von innen zugängliche Raum auch im Gehirn liegen, ist es möglich, dass durch Gages Unfall dieser verändert worden ist.

Möglicherweise wurden durch die Gehirnverletzung, d.h. die physischen Aspekte, auch die psychischen, für die Identitätsbildung zuständigen Aspekte verändert.

Obgleich sich das Ich-Gefühl, Emotionen, Gefühle, Gedanken, usw. nicht messen lassen, hat die Wissenschaft eine Idee davon, welche Vorgänge wo im Gehirn stattfinden. So entstehen Gefühle bspw. im limbischen System, der Frontallappen spielt eine grundlegende Rolle beim moralischen Verhalten und das Ich-Bewusstsein entsteht durch die Zusammenarbeit und den Austausch vieler verschiedener Gehirnbereiche.

Durch Gages Unfall wurde ein Teil seines Frontalhirns zerstört, welches laut der Wissenschaft wichtig für das moralische Verhalten ist, womit es ein starkes Argument ist, das den Materialismus stützt.

 

Im Kontext des Materialismus bedeutet der Begriff „Biomaschine“, dass der Mensch als eine Maschine betrachtet wird, die rein aus biologischen Komponenten, d.h. aus Materie, besteht, sich seine Identität also auch aus Materie zusammensetzt.

Lernmaterial