Utilitarismus

John Stuart Mill

Der Utilitarismus von John Stuart Mill, der das größte Glück für die größte Zahl anstrebt, formuliert einen klaren Maßstab für moralisches Handeln: die Maximierung des Wohlergehens. Mill vertieft seine Theorie in der Idee, dass nicht nur Quantität, sondern auch die Qualität der Freude entscheidend ist, und unterscheidet zwischen höherer und niederer Freude.

Inhalt

Biografie

John Stuart Mill (* 20. Mai 1806 in Pentonville, Vereinigtes Königreich; † 8. Mai 1873 in Avignon, Frankreich) war ein britischer Philosoph, Politiker und Ökonom, einer der einflussreichsten liberalen Denker des 19. Jahrhunderts sowie ein früher Unterstützer der Frauenemanzipation. Mill war Anhänger des Utilitarismus, der von Jeremy Bentham, dem Lehrer und Freund seines Vaters James Mill, als Nutz-Ethik entwickelt wurde.

Zitate

Original Textauszug

Unterschiedliche Freuden:
Die Auffassung, für die die Nützlichkeit oder das Prinzip des größten Glücks die Grundlage der Moral ist, besagt, dass Handlungen insoweit und in dem Maße moralisch richtig sind, als sie die Tendenz haben, Glück zu befördern, und insoweit moralisch falsch, als sie die Tendenz haben, das Gegenteil von Glück zu bewirken. Unter „Glück“ (happiness) ist dabei Lust (pleasure) und das Freisein von Unlust (pain), unter „Unglück“ (unhappiness) Unlust und das Fehlen von Lust verstanden.

[…] Der Gedanke, dass das Leben […] keinen höheren Zweck habe als die Lust, […] erscheint […] [vielen Menschen] im äußersten Grade niedrig und gemein; als eine Ansicht, die nur der Schweine würdig wäre […].

Die Anerkennung der Tatsache, dass einige Arten der Freude wünschenswerter und wertvoller sind als andere, ist mit dem Nützlichkeitsprinzip durchaus vereinbar. Es wäre unsinnig anzunehmen, dass der Wert einer Freude ausschließlich von der Quantität abhängen sollte, wo doch in der Wertbestimmung aller anderen Dinge neben der Quantität auch die Qualität Berücksichtigung findet.

Fragt man mich nun, was ich meine, wenn ich von der unterschiedlichen Qualität von Freuden spreche, und was eine Freude – bloß als Freude, unabhängig von ihrem größeren Betrag – wertvoller als eine andere macht, so gibt es nur eine mögliche Antwort: von zwei Freuden ist diejenige wünschenswerter, die von allen oder nahezu allen, die beide erfahren […], entschieden bevorzugt wird. Wird die eine von zwei Freuden von denen, die beide kennen und beurteilen können, so weit über die andere gestellt, dass sie sie auch dann noch vorziehen, wenn sie wissen, dass sie größere Unzufriedenheit verursacht, und sie gegen noch so viele andere Freuden, die sie erfahren könnten, nicht eintauschen möchten, sind wir berechtigt, jener Freude eine höhere Qualität zuzuschreiben, die die Quantität so weit übertrifft, dass diese im Vergleich nur gering ins Gewicht fällt.

Es ist nun aber eine unbestreitbare Tatsache, dass diejenigen, die mit beiden gleichermaßen bekannt und für beide gleichermaßen empfänglich sind, der Lebensweise entschieden den Vorzug geben, an der auch ihre höheren Fähigkeiten beteiligt sind. Nur wenige Menschen würden darein einwilligen, sich in eines der niederen Tiere verwandeln zu lassen, wenn man ihnen verspräche, dass sie die Befriedigungen des Tiers im vollen Umfange auskosten dürften.

Kein intelligenter Mensch möchte ein Narr, kein gebildeter Mensch ein Dummkopf, keiner, der feinfühlig und gewissenhaft ist, selbstsüchtig und niederträchtig sein – auch wenn sie überzeugt wären, dass der Narr, der Dummkopf oder der Schurke mit seinem Schicksal zufriedener ist als sie mit dem ihren. Das, was sie vor ihm voraushaben, würden sie auch für die vollständigste Erfüllung all der Wünsche nicht aufgeben, die sie mit ihm gemeinsam haben. […]

Ein höher begabtes Wesen verlangt mehr zu seinem Glück, ist wohl auch größeren Leidens fähig und ihm sicherlich in höherem Maße ausgesetzt als ein niederes Wesen; aber trotz dieser Gefährdungen wird es niemals in jene Daseinsweise absinken wollen, die es als niedriger empfindet. […]

Es ist unbestreitbar, dass ein Wesen mit geringerer Fähigkeit zum Genuss die besten Aussichten hat, voll zufrieden gestellt zu werden; während ein Wesen von höheren Fähigkeiten stets das Gefühl haben wird, dass alles Glück, das es von der Welt, so wie sie beschaffen ist, erwarten kann, unvollkommen ist. Aber wenn diese Unvollkommenheiten überhaupt nur erträglich sind, kann es lernen, mit ihnen zu leben, statt die anderen zu beneiden, denen diese Unvollkommenheiten nur deshalb nicht bewusst sind, weil sie sich von den Vollkommenheiten keine Vorstellung machen können, mit denen diese verglichen werden. Es ist besser, ein unzufriedener Mensch zu sein, als ein zufrieden gestelltes Schwein; besser ein unzufriedener Sokrates als ein zufriedener Narr, und wenn der Narr oder das Schwein anderer Ansicht sind, dann deshalb, weil sie nur die eine Seite der Angelegenheit kennen. Die andere Partei hingegen kennt beide Seiten.

Das Problem des Maßstabs:
Darüber, welche von zwei Befriedigungen es sich zu verschaffen am meisten lohnt […], kann nur das Urteil derer, die beide erfahren haben, oder, wenn sie auseinander gehen sollten, das der Mehrheit unter ihnen als endgültig gelten. Und wir dürfen umso weniger zögern, ihr Urteil über die Qualität einer Befriedigung zu akzeptieren, als wir uns selbst hinsichtlich der Quantität auf keinen anderen Richtspruch berufen können. Was anders sollte darüber entscheiden, welche von zwei Schmerzempfindungen die heftigste oder welche von zwei lustvollen Empfindungen die intensivste ist, als das Mehrheitsvotum derer, denen beide vertraut sind?

Angenehme und unangenehme Empfindungen sind unter sich sehr ungleichartig, und Unlust ist stets von anderer Art als Lust. Welche andere Instanz als das Empfindungs- und Urteilsvermögen der Erfahrenen sollte uns sagen können, ob es sich auszahlt, für eine bestimmte angenehme Empfindung eine bestimmte unangenehme Empfindung in Kauf zu nehmen? Wenn diese aber nun erklären, dass die aus den höheren Fähigkeiten erwachsenden Freuden der Art nach – ungeachtet ihrer Intensität – denen vorzuziehen sind, deren die tierische Natur ohne die höheren Fähigkeiten fähig ist, dann verdienen sie auch in dieser Frage unsere volle Beachtung. […]

Nach dem Prinzip des größten Glücks ist […] der letzte Zweck, bezüglich dessen und um dessentwillen alles andere wünschenswert ist […], ein Leben, das so weit wie möglich frei von Unlust und in quantitativer wie in qualitativer Hinsicht so reich wie möglich an Lust ist; wobei der Maßstab, an dem Qualität gemessen und mit der Quantität verglichen wird, die Bevorzugung derer ist, die ihrem Erfahrungshorizont nach […] die besten Vergleichsmöglichkeiten besitzen. Indem dies nach utilitaristischer Auffassung der Endzweck des menschlichen Handelns ist, ist es notwendigerweise auch die Norm der Moral. Diese kann also definiert werden als die Gesamtheit der Handlungsregeln und Handlungsvorschriften, durch deren Befolgung ein Leben der angegebenen Art für die gesamte Menschheit im größtmöglichen Umfange erreichbar ist; und nicht nur für sie, sondern, soweit es die Umstände erlauben, für die gesamte fühlende Natur.

John Stuart Mill: Utilitarianism / Der Utilitarismus. Übersetzt, mit Anmerkungen versehen und Nachwort von Dieter Birnbacher. Philipp Reclam jun., Stuttgart 1985. S. 18; S. 13, 14, 15-18; S. 19-20, 21

Lernzettel

  • Mill baute den klassischen, quantitativen Utilitarismus nach Bentham um einen qualitativen Aspekt aus
    → Mill war Vertreter des sog. qualitativen Utilitarismus
  • dieser basiert ebenso auf dem „Prinzip der Nützlichkeit“: Eine Handlung ist genau dann moralisch richtig, wenn sie das größtmögliche Glück für die gesamte Menschheit & die gesamte lebende Natur zumindest ermöglicht
  • Ausgangsüberlegung: manche Freuden seien wertvoller als andere
    → bei der Bewertung von Freude spiele die Qualität auch eine Rolle → Qualität müsse über die Quantität priorisiert werden
  • die wertvollere zweier Freuden sei die, die von dem Großteil jener, die beide Freuden erlebt haben, bevorzugt werde → irrelevant, ob diese Freude zu (mehr) Unzufriedenheit führe
  • Begründung: auch für die vollständigste Befriedigung aller Wünsche, würde der Mensch nicht das aufgeben, was er einem niederen Lebewesen voraushat – einen höheren Verstand
    → der Mensch als „höher begabtes Wesen“ erfahre zwar mehr Leid, weil er dazu in der Lage sei, mehr Glück anzustreben, wolle aber dennoch nie in eine niedere Existenz absinken
  • intelligente Wesen verspüren immer Unvollkommenheit, da sie mehr Glück anstreben können: „Es ist besser, ein unzufriedener Mensch zu sein, als ein zufrieden gestelltes Schwein; besser ein unzufriedener Sokrates als ein zufriedener Narr“
    → intellektuelle Lust sei erstrebenswerter als sinnliche, physische Lust
  • Endzweck menschlichen Handelns = Leben mit so viel Freude und so wenig Leid wie möglich → folglich auch die Norm der Moral

Schaubild

Klausurtext

Tragfähigkeit

  • legt Wert auf die Qualität der Freuden, nicht nur auf die Quantität → hebt die intellektuellen und moralischen Aspekte der Freuden hervor und fördert eine tiefere und erfülltere Form des Glücks
  • Bevorzugung eines höheren Verstandes und der damit verbundenen Freuden betont die Bedeutung von intellektuellem und moralischem Wachstum für ein erfülltes Leben
  • universelle Anwendbarkeit: das Prinzip der Nützlichkeit bietet eine umfassende und menschenfreundliche Ethik
  • Subjektivität der Qualität → Bewertung der Qualität von Freuden ist subjektiv und variabel, was zu Schwierigkeiten bei der objektiven Bewertung und Anwendung von Mills Prinzip führt
  • praktische Umsetzung des Prinzips der Nützlichkeit in komplexen Situationen kann schwierig und zu langwierig sein
  • Vernachlässigung der Minderheit durch Glückmaximierung der Mehrheit
  • die Annahme, ein höher begabtes Wesen wolle trotz größeren Leids nicht in niedere Existenz absinken, ist fraglich, da individuelle Präferenzen und unterschiedliche Vorstellungen von Glück Erfüllung außer Acht gelassen werden

Teste dein Wissen

Das grundlegende Prinzip des Utilitarismus ist das Prinzip der Nützlichkeit, wonach eine Handlung moralisch richtig ist, wenn sie das größtmögliche Glück bzw. den größtmöglichen Nutzen für die Gesamtheit und die lebende Natur hervorbringt.

Mill betonte, dass nicht nur die Quantität der Freude wichtig sei, sondern auch die Qualität. Einige Freuden seien wertvoller als andere und die wertvollere Freude ist für Mill diejenige, die von der Mehrheit derjenigen, die beide Freuden erlebt haben, bevorzugt wird.

Eine Freude von höherer Qualität sei genau dann vorhanden, wenn sie von der Mehrheit derjenigen bevorzugt werde, die sowohl diese Freude als auch eine andere erlebt haben, unabhängig davon, ob sie zu Unzufriedenheit führe.

Mill argumentiert, dass der Mensch niemals das aufgeben würde, was ihn von niedrigeren Lebewesen unterscheidet, nämlich seinen höheren Verstand, selbst wenn dies bedeute, mehr Leid zu erfahren.

Mill postuliert, höher begabte Wesen erfahren mehr Leid, weil sie in der Lage seien, mehr Glück anzustreben, würden aber trotzdem nicht in eine niedere Existenz absinken wollen, da sie ihren höheren Verstand schätzen.

Mill meint, dass es besser ist, ein unglückliches, aber intellektuell begabtes Wesen zu sein als ein glückliches, aber intellektuell minderwertiges Wesen. Intellektuelle und höhere Freuden sind für Mill wertvoller als rein physische und somit niedere Freuden.

Mill betrachtet die intellektuelle Lust als erstrebenswerter als die sinnliche, physische Lust, weil sie eine höhere Qualität und einen folglich größeren Wert hat.

Der Endzweck menschlichen Handelns besteht nach Mill darin, ein Leben mit so viel Freude und so wenig Leid wie möglich zu führen.

Für Mill ist die intellektuelle Lust wichtiger, weil sie zur höheren Qualität des Glücks beitrage und die intellektuellen Fähigkeiten und den Verstand eines Menschen ausmache, die er niemals zugunsten niedrigerer Freuden aufgeben würde.

Benthams und Mills Fassungen des Utilitarismus stimmen darin überein, dass sie das Glück der Gemeinschaft maximieren wollen und dabei die Interessen aller von einer Handlung betroffenen beachten.

Unterscheiden tun sie sich allerdings darin, dass Bentham einen Quantitätsutilitarismus vertritt, da er nur auf die Summe aller Freuden und allen Leids achtet, nicht aber auf die Qualität dieser Freuden bzw. Leiden.

Mill hingegen war die Qualität der Freuden wichtig, sodass er intellektuelle Freuden als wertvoller erachtete als rein physische, sinnliche Freuden, da der Verstand den Menschen von anderen Lebewesen unterscheide.

Lernmaterial

Einen guten Überblick zum qualitativen Utilitarismus bildet das folgende Video:
Unzufriedener Mensch vs. zufriedenes Schwein | John Stuart Mill | Der qualitative Utilitarismus

 

Alltagsbeispiele zur Anwendung der Position:
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