Präferenz-Utilitarismus

Peter Singer

Peter Singers Präferenzutilitarismus fordert uns heraus, moralische Entscheidungen nach den Präferenzen aller betroffenen Individuen zu treffen und abzuwägen, um das größte Gesamtwohl zu erreichen. Dieser Ansatz erweitert das traditionelle Utilitarismus-Konzept und integriert die vielfältigen Wünsche und Bedürfnisse aller Lebewesen.

Inhalt

Biografie

Peter Albert David Singer (* 6. Juli 1946 in Melbourne, Australien) ist ein australischer Philosoph und Ethiker. Er gilt als einflussreicher Vertreter des Utilitarismus. Insbesondere ist er durch seine Beschäftigung mit Tier- und Bioethik bekannt. Aufgrund seiner Thesen und Positionen kam es im Kontext seiner Auftritte in Deutschland zu Protesten.

Zitate

Original Textauszug

Angenommen, ich beginne dann, so weit moralisch zu denken, dass ich mich in die Lage der anderen versetze, die von meiner Entscheidung betroffen sind. Um zu wissen, wie es ist, sich in ihrer Lage zu befinden, muss ich den Standpunkt ihrer Präferenzen einnehmen – ich muss mir vorstellen, wie hungrig sie sind, wie sehr sie die Früchte genießen würden usw. Nachdem ich das getan habe, muss ich, wenn ich in ethischen Maßstäben denke, erkennen, dass ich nicht meinen eigenen Präferenzen größeres Gewicht als denen anderer beimessen kann, nur weil es meine eigenen sind. Also muss ich nun anstelle meiner eigenen Präferenzen die all der anderen berücksichtigen, die von meiner Entscheidung betroffen sind. Wenn es nicht irgendwelche weiteren ethisch relevanten Gesichtspunkte gibt, wird mich das dazu bringen, sämtliche vorhandenen Präferenzen abzuwägen und jenen Handlungsverlauf zu wählen, von dem es am wahrscheinlichsten ist, dass er die Präferenzen der Betroffenen weitestgehend befriedigt. […]

Die hier skizzierte Denkweise ist […] unter dem Namen „Präferenz-Utilitarismus“ bekannt, weil sie behauptet, dass wir das tun sollten, was per saldo die Präferenzen der Betroffenen fördert. […]

Nach dem Präferenz-Utilitarismus ist eine Handlung, die der Präferenz irgendeines Wesens entgegensteht, ohne dass diese Präferenz durch entgegengesetzte Präferenzen ausgeglichen wird, moralisch falsch. Eine Person zu töten, die es vorzieht, weiterzuleben, ist daher, gleiche Umstände vorausgesetzt, unrecht.
[…] Dass die Opfer nach der Ermordung nicht mehr da sind, um sich darüber zu beklagen, dass ihre Präferenzen nicht beachtet worden sind, ist unerheblich.
Das Unrecht liegt darin, dass ihre Präferenz vereitelt worden ist.

Für Präferenz-Utilitaristen ist die Tötung einer Person in der Regel schlimmer als die Tötung eines anderen Wesens, weil Personen in ihren Präferenzen sehr zukunftsorientiert sind. Eine Person zu töten bedeutet darum normalerweise nicht nur eine, sondern eine Vielzahl der zentralsten und bedeutendsten Präferenzen, die ein Wesen haben kann, zu verletzen. Sehr oft wird dadurch alles, was das Opfer in den vergangen Tagen, Monaten oder sogar Jahren zu tun bemüht war, ad absurdum geführt. Im Gegensatz dazu kann ein Wesen, das sich nicht selbst als eine Entität mit einer eigenen Zukunft sehen kann, keine Präferenz hinsichtlich seiner eigenen zukünftigen Existenz haben.

Damit wird nicht bestritten, dass ein solches Wesen gegen eine Situation ankämpfen kann, in der sein Leben in Gefahr ist, so wie ein Fisch kämpft, um sich von dem Angelhaken in seinem Maul zu befreien; aber dies bezeichnet lediglich eine Präferenz für das Aufhören des Zustandes, der Schmerz oder Angst verursacht. Das Verhalten des Fisches legt es nahe, Fische nicht mit der Methode zu töten, aber es liefert keinen präferenz-utilitaristischen Grund dagegen, Fische mit einer Methode zu töten, die sofort zum Tode führt, ohne Schmerz und Leid zu verursachen.

Einige nichtmenschliche Tiere scheinen sich selbst als distinkte Wesen mit einer Vergangenheit und Zukunft zu begreifen. […] Bei den großen Menschenaffen handelt es sich vermutlich am eindeutigsten um Personen, aber […] auch bei einigen anderen Spezies [gibt es] Anzeichen für das Vorhandensein von in die Zukunft gerichteten Bewusstseinsvorgängen. […]

Ich legte dar, dass dann, wenn den meisten menschlichen Wesen ein Leben von besonderer Bedeutsamkeit eignet oder sie einen besonderen Anspruch auf Schutz ihres Lebens haben, dies mit der Tatsache in Zusammenhang gesehen werden muss, dass die meisten menschlichen Wesen Personen sind. Falls aber einige nichtmenschliche Tiere ebenfalls Personen sind, dann hat ihr Leben denselben Schutzanspruch. […]

Daher sollten wir die Lehre, dass die Tötung von Angehörigen unserer Gattung immer größere Bedeutsamkeit hat als die Tötung von Angehörigen anderer Gattungen, ablehnen. Manche Angehörigen anderer Gattungen sind Personen; manche Angehörigen unserer eigenen Spezies sind es nicht.

Peter Singer: Practical Ethics / Praktische Ethik. 3. Auflage (2013). Aus dem Englischen übersetzt von Oscar Bischoff / Jean Claude Wolf / Dietrich Klose / Susanne Lenz. Reclam, Stuttgart 2013. S. 39-40, 41, 52-53, S. 137, 139f., 141, 142, S. 143, 145f., 151-152, S. 218, 186, 185f.

Lernzettel

  • Präferenzutilitarismus = teleologische Ethik
  • Ziel: maximale Erfüllung der Präferenzen der betroffenen Personen einer Handlung
  • Moralische Handlung: möglichst viele Präferenzen aller Betroffenen werden befriedigt → dazu wird nicht die eigene Spezies bevorzugt, sondern objektiv danach beurteilt, wie selbstbewusst ein Wesen ist, d.i. ob es eine Person ist oder nicht
  • Berücksichtigung aller Interessen aller Individuen (Universalitätsprinzip)
  • notwendig: Ausgleich zuvor missachteter Präferenzen → nicht immer dieselbe Gruppe darf leiden → besondere Beachtung bei der nächsten Handlung
  • Interessen sowie ethische Relevanz entscheiden sich je nach Klasse von Wesen
  • Klassifizierung der Wesen:
    1. Wesen ohne Bewusstsein (ohne ausgebildetes ZNS): kein Lust- oder Schmerzempfinden; haben keine (ethischen) Werte an sich → Mensch hat keine Verpflichtung ihnen gegenüber
    2. bewusst-empfindende Wesen: können Lust/Schmerz empfinden → klassisch-utilitaristische Behandlung; sind individuell austauschbar, da sie keine distinkten Entitäten sind (z.B. Tiere mit ZNS, Neugeborene, Schwerstbehinderte)
    3. selbstbewusste Wesen/Personen: distinkte Entitäten bzw. Personen, denn sie weisen Selbstbewusstsein, Empfindungsfähigkeit & Autonomie auf → sind sich ihrer selbst bewusst & empfindungsfähig, und begreifen sich selbst als über ihrer Zeit existierend & von sich selbst abgegrenzt (z.B. Menschenaffen, die meisten Menschen)
  • unmoralische Handlung = Präferenzen der Betroffenen werden ignoriert und nicht weiterführend ausgeglichen; oder eine Person wird getötet, die weiterleben wollte → Verletzung der bedeutendsten Präferenzen
  • legitim: Tötung von Wesen, die keine distinkte Entität sind (Bsp. Fisch)

Schaubild

Klausurtext

Tragfähigkeit

  • unterstreicht die moralische Bedeutung des Leidens aller Lebewesen, was lobenswert ist, da alle Lebewesen Teil dieser Welt sind → fordert uns auf, die Bedürfnisse aller leidensfähigen Wesen zu berücksichtigen
    → Schutz vor Verrohung des Menschen und Sensibilisierung
  • Es ist sinnvoll, denjenigen Lebewesen den größten Wert zuzuschreiben, die am meisten unter der Entscheidung zu leiden hätten → (distinkte Entitäten sowohl physisch als auch psychisch)
  • Prinzip der Präferenzmaximierung ermöglicht eine leichten Vergleich verschiedener Handlungsalternativen und eine leichte moralische Entscheidung
  • Kommunikation mit Tieren und das Verstehen ihrer inneren Vorgänge ist kaum möglich → Messung und Vergleich von Präferenzen verschiedener Lebewesen ist problematisch → kann zu subjektiven Bewertungen und verfälschten Entscheidungen führen
  • genaue Anleitung zum moralischen Handeln wie das hedonistische Kalkül oder der kategorische Imperativ sie bieten, fehlt → z.B. ist unklar, wie widersprüchliche Präferenzen verschiedener Individuen gewichtet und priorisiert werden sollten → Gefahr besteht, dass die Interessen der Mehrheit über die Interessen der Minderheit dominieren und zu ungerechten Ergebnissen führen
  • Mensch ist das einzige Lebewesen, welches einen (vollkommen) autonomen Willen besitzt und nicht von Naturtrieben oder Gesetzen abhängig ist → Affen verfügen zwar über eine gewisse Vernunftbegabung, sind teilweise aber von ihren Naturtrieben abhängig (z.B. Unbeherrschtheit bei Nahrung, kaum vorhandene Moral) → es hat also wenig Sinn, Affen und Menschen der gleichen Klasse zuzuordnen, da der Mensch über weitaus mehr Autonomie und Moral verfügt → Folge der Evolution: mannigfaltige Unterschiede → auch innerhalb einer Klasse treten kognitive und körperliche Unterschiede auf, die den Wert des Lebewesens verändern könnten
  • nur Menschen sind in der Lage dazu, Singers Ethik zu verstehen und zu verfolgen → er schließt aber auch andere Lebewesen mit ein, die nicht in der Lage dazu sind, seine Ethik zu verfolgen
    → Warum sollte der Mensch nach einer Ethik handeln, in denen auch Tiere einen Wert haben, wenn ebendiese aber nicht danach handeln können?
  • Unmöglichkeit eines Universalgesetzes

Teste dein Wissen

teleologische Ethik

– klassischer Utilitarismus verfolgt nur die Interessen der Mehrheit; Präferenzutilitarismus verlangt einen Ausgleich zuvor vernachlässigter Präferenzen
– Singer unterteilt Lebewesen in 3 Klassen, von denen die distinkten Entitäten am meisten wiegen; im klassischen Utilitarismus nach Bentham haben alle Menschen den gleichen Wert
– Präferenzutilitarismus legt den ethischen Wert eines Lebewesen auf Basis seiner Leidensfähigkeit fest; klassischer Utilitarismus addiert Freude bzw. Leid & geht der Handlung nach, die die Freude maximiert bzw. das Leid minimiert

Eine Handlung ist genau dann moralisch, wenn möglichst viele Präferenzen aller Betroffenen befriedigt werden. Dazu darf nicht die eigene Spezies bevorzugt, sondern es muss objektiv beurteilt werden, wie selbstbewusst ein Wesen ist, d.h. ob es eine distinkte Entität ist oder nicht.

Er verfolgt das für den Utilitarismus typische Universalitätsprinzip, was alle von einer Handlung Betroffenen mit einschließt.

Ein Lebewesen ist genau dann eine distinkte Entität (oder auch: Person), wenn es Selbstbewusstsein, Empfindungsfähigkeit & Autonomie aufweist.

Klassisch-utilitaristische Entscheidungen führen zu der Vernachlässigung von Minderheiten. Deshalb muss ein Ausgleich der zuvor missachteten Präferenzen gefunden werden, damit nicht immer dieselbe Gruppe leidet.

Singer ist der Meinung, dass das menschliche Leben nicht heilig ist. Nicht allein der Mensch verdiene es, moralische Rechte zu besitzen, mithin verdiene auch er sie nur, wenn er für sich beanspruchen kann, eine distinkte Entität zu sein, d.i. empfindungsfähig und selbstbewusst ist.

  1. Wesen ohne Bewusstsein, d.h. Wesen ohne ausgebildetes Zentralnervensystem, da sie keine Lust- oder Schmerzempfindung besitzen & somit keine (ethischen) Werte an sich hätten
  2. bewusst-empfindende Wesen, denn sie können Lust/Schmerz empfinden und müssten somit klassisch-utilitaristisch behandelt werden. Sie  seien aber individuell austauschbar, da sie keine distinkte Entitäten sind (z.B. Tiere mit ZNS, Neugeborene, Schwerstbehinderte)
  3. selbstbewusste Wesen/Personen, d.i. distinkte Entitäten, denn Personen weisen Selbstbewusstsein, Empfindungsfähigkeit & Autonomie auf

Eine Handlung ist nach Singer genau dann unmoralisch, wenn nicht nach der Erfüllung der größtmöglichen Zahl von Präferenzen entschieden wird und zusätzlich wenn Präferenzen ignoriert werden oder es keinen weiterführenden Ausgleich der zuvor missachteten Präferenzen gibt.

weil sie sich ihre Zukunft nicht vorstellen können (wie z.B. einen Fisch) und nur um ihr Leben kämpfen, um den Schmerz zu beenden und nicht aufgrund des bewussten Willens weiterzuleben. Daher dürfen sie nach Singer schmerzfrei getötet werden.

Der Mensch zeichnet sich durch seinen autonomen Willen & seine Fähigkeit, moralisch zu handeln aus; diese Eigenschaften sind bei Tieren nicht bzw. kaum vorhanden. Außerdem haben unterschiedliche Arten (Evolution) unterschiedliche Fähigkeiten entwickelt, und besitzen somit unterschiedlich ausgeprägte Fähigkeiten.

Nach Singer wäre es so theoretisch legitim,  Babys oder Behinderte schmerzfrei zu töten, was im Hinblick auf die Menschenwürde fraglich ist.

Lernmaterial

Einen guten Überblick zum Präferenz-Utilitarismus bildet das folgende Video:
Peter Singer | Präferenzutilitarismus und Person-Begriff

 

Alltagsbeispiele zur Anwendung der Position:
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https://philo.works/alltagsbezogene-fragen-zum-ueben/